Auckland – Wie laut so eine Kasse im Supermarkt sein kann. Wie extrem die Truhen mit der Tiefkühlware plötzlich vor sich hinbrummen. Und wie hell die Käsetheke leuchtet. Dabei hat sich all das im Supermarkt von Three Kings, einem Vorort von Auckland, überhaupt nicht geändert.
Nur, dass in der Kaufhalle ansonsten alles Andere auf leise gestellt wurde und auf dunkel. Die Dinge, auf die normalerweise kaum ein Kunde achtet, fallen nun besonders auf.
Einmal pro Woche legt Neuseelands größte Supermarktkette Countdown neuerdings landesweit eine «Stille Stunde» ein. So etwas gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Jeden Mittwoch zwischen 14.30 und 15.30 Uhr wird in 180 Filialen das Licht heruntergedimmt und die wird Musik ausgeschaltet, selbst jetzt im Weihnachtsgeschäft. Das hat den Nebeneffekt, dass man von «Jingle Bells» und «Last Christmas» zumindest 60 Minuten lang garantiert verschont bleibt.
Sinneskanäle entlasten
Die Idee für die «Quiet Hour» geht auf eine Countdown-Angestellte mit autistischem Kind zurück. Wenn sie den Sohn zum Einkaufen mitnahm, fing er oft an zu schreien: Menschen, die an Autismus leiden, nehmen alltägliche Reize wie Geräusche, Gerüche oder helles Licht oft besonders intensiv wahr. Das Gehirn kann nicht richtig filtern. Ihre Sinneskanäle sind überfordert. Man nennt das «sensorische Empfindlichkeit».
Mit der «Stillen Stunde» experimentierte die Kette im vergangenen Jahr zunächst in ausgewählten Testmärkten, auch in Three Kings. Der frühe Nachmittag wurde gewählt, weil viele Eltern dann gerade die Kinder von der Schule abgeholt haben. Natürlich spielte auch eine Rolle, dass das nicht die umsatzstärkste Zeit ist. Auf Kundenseite war die Resonanz so gut, dass es die 60 leisen Minuten nun praktisch überall gibt. Nur zwei City-Märkte machen nicht mit.
Neuseelands Autistenverband ANZ (Autism New Zealand) ist voll des Lobes. Verbandschef Dane Dougan sagt: «Das sind nur kleine Veränderungen, die aber enorme Auswirkungen haben.» Doch auch von anderen Leuten kommt viel Zustimmung. In Three Kings kommen mittwochs nun auffällig viele ältere Kunden. Filialleiter Dave Chollo (50) sagt: «Meinetwegen können wir das gern länger machen als eine Stunde pro Woche. Dem Umsatz schadet es jedenfalls nicht.»
Technisch ist die Sache unkompliziert.
Chollo muss nur drei Schalter umlegen. Dann geht an der Decke die Hälfte der Neonröhren aus, das hauseigene Radio wird still, und die interne Sprechanlage ist außer Betrieb. Die 90 Angestellten haben zudem Anweisung, keine Einkaufswagen mehr zusammenzuschieben und auch beim Aus- und Einräumen leise zu sein. Nur an den Kassen ist der übliche Betrieb.
Die Rentnerin Eileen Rimmer (79), die gerade in der abgedunkelten Obstabteilung steht, sagt: «Mich persönlich stört die Musik überhaupt nicht. Aber das ist doch eine Selbstverständlichkeit, Rücksicht zu nehmen.» Amy Brown (34) und ihre Tochter Eloise (8) sind eigens zur «Stillen Stunde» gekommen. «Ich kaufe viel lieber ein, wenn dieses ewige Gedudel weg ist. Dann habe ich weniger Stress» sagt die Mutter. «Und ich glaube, dass man letzlich mehr Geld ausgibt.»
Countdown veröffentlicht keine Zahlen, wie sich die «Quiet Hour» auf den Umsatz auswirkt. Inzwischen gibt es aber schon einige Nachahmer. Aktuell bewerben mehrere Shopping Malls «Stille Stunden mit dem Weihnachtsmann». Bei den hier sehr beliebten Fotogelegenheiten für Kinder mit weißbärtigen Männern in Rot geht es dann vorübergehend ebenfalls ruhig zu. Normalerweise ist das ein ziemlicher Trubel.
Aber warum ausgerechnet Neuseeland?
Filialleiter Chollo meint: «Wir sind nun mal ein kleines, ziemlich isoliertes Land. Das gibt uns die Freiheit, Dinge einfach auszuprobieren. Und freundlich sind wir auch.» Inzwischen experimentieren auch die ersten Märkte in Großbritannien und Polen mit «Stillen Stunden». In Deutschland ist eine solche Ruhephase dagegen noch kein großes Thema.
Bei Edeka heißt es allgemein: «Unsere Kaufleute sind immer darauf bedacht, ihren Kunden ein individuelles Einkaufserlebnis in einem angenehmen Ambiente zu bieten.» Die Konkurrenz von Rewe erklärt: «Wir haben großes Verständnis für Kunden und Mitarbeiter, die es gern etwas leiser haben. Daher kann in jedem Markt die Lautstärke der Musik individuell geregelt werden.» Was das Licht angeht, gebe es «keine entsprechenden Pläne».
Fotocredits: Christoph Sator,Christoph Sator,Christoph Sator,Christoph Sator,Christoph Sator
(dpa)