Berlin – Nur etwas Schnupfen? Nichts schmeckt mehr? Keine Luft mehr zum Atmen? Eine Infektion mit dem neuen Coronavirus verläuft nicht für alle Menschen gleich.
Für die einen fühlt es sich an wie eine Erkältung, für andere wird es lebensgefährlich oder gar tödlich. Allgemeingültige Aussagen zum typischen Krankheitsverlauf seien nicht möglich, erklärt das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin.
Etwa die Hälfte der Menschen, die sich angesteckt haben, würden das gar nicht merken, sagte kürzlich RKI-Chef Lothar Wieler: «Die sehen wir gar nicht.» Über die Beschwerden der erkannten Infizierten liegen inzwischen aus mehreren Ländern und zunehmend auch aus Deutschland Daten vor. Manche Betroffene berichten auch selbst, wie es ihnen mit Sars-CoV-2 ergeht. Ein Überblick über die Ausprägungen:
Eher milde Verläufe ohne Krankenhausaufenthalt:
Von den Infizierten, die etwas merken, haben laut
RKI vier von fünf milde Verläufe. Husten (54 Prozent) und Fieber (40 Prozent) zählten nach Daten von mehr als 22.000 Erkrankten in Deutschland zu den häufigsten Symptomen, wie Wieler sagte.
«Es ist ein Gerücht, dass eine Sars-CoV-2-Infektion definitiv keinen Schnupfen hervorruft», sagt Martin Witzenrath von der Klinik für Infektiologie und Pneumologie der Charité Berlin, wo nach seinen Angaben derzeit mehr als 20 Patienten mit unterschiedlich schweren Verläufen behandelt werden.
Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff sagte der Heidelberger «Rhein-Neckar-Zeitung», die Krankheit sei bei ihm wellenförmig verlaufen. Er habe einige Zeit Schnupfen gehabt, dann sei Husten dazugekommen. Die Symptome beschrieb er als «wenig spektakulär».
Wie es rund 100 Menschen im besonders betroffenen Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen in häuslicher Isolation ergangen ist, haben Teams um den Bonner Virologen Hendrik Streeck erfragt: «Das am häufigsten beschriebene Symptom war trockener Reizhusten mit 70 Prozent, vor dem Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn mit 68 Prozent und Müdigkeit mit 68 Prozent», sagt er. Aber auch von einer «laufenden Nase», Kopf-, Muskel- und Halsschmerzen sowie Fieber berichteten viele Erkrankte. «Manche waren ganz schön K.o.», sagt der Wissenschaftler. Auch Durchfall sei nicht selten gewesen, so Streeck.
Nach Daten der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) dauern milde Krankheitsverläufe im Mittel zwei Wochen. Die Krankheit beginne nach den bisherigen Erfahrungen mit Halskratzen oder -schmerzen und oftmals Fieber, so Streeck. Und damit wie viele Erkältungskrankheiten. Gibt es Anzeichen, anhand derer man Covid-19 klar unterscheiden kann? «Das Einzige, was Grippe nicht hervorruft, ist dieser Geschmacks- und Geruchsverlust», sagt Streeck. Ansonsten gelte bei milden Verläufen: «Es ist wie ein grippaler Infekt. Die Betroffenen hätten die Infektion mit Sars-CoV-2 überhaupt nicht gemerkt.»
Chefarzt Clemens Wendtner von der Klinik für Infektiologie in der München Klinik Schwabing, der Ende Januar die ersten Infizierten in Deutschland behandelte, berichtet ebenfalls, dass Erkrankte zum Beispiel einige Tage nicht gut riechen und schmecken konnten und den Geschmack von Essen – obwohl ihr Wunschgericht – als metallisch oder bitter empfanden. Die Beeinträchtigung kann Wendtner zufolge gleich zu Anfang auftreten und ein erster Hinweis auf eine Erkrankung sein. Auch bei Sars sei man davon ausgegangen, dass das Virus auch Riechrezeptoren in der Nase befalle.
Schwerere Verläufe mit Krankenhausbehandlung:
Wie viele Menschen im Deutschland insgesamt wegen Covid-19 im Krankenhaus liegen oder lagen, ist bisher nicht bekannt. Bei knapp 56.000 in China erfassten Fällen verliefen 14 Prozent schwer. Bei sechs Prozent war der Verlauf kritisch bis lebensbedrohlich, etwa wegen Lungenversagen. Schwere Verläufe könne laut WHO im Mittel zwischen drei und sechs Wochen dauern.
Bei Patienten mit Symptomen der oberen Atemwege dauere es nach den bisherigen Erfahrungen vier bis acht Tage bis sich entscheide, ob die Erkrankung auch die unteren Atemwege befällt, sagt Witzenrath von der Charité. Es gebe aber auch Patienten, die direkt eine Lungenentzündung bekommen, ohne dass vorher die oberen Atemwege betroffen sind. Entzündetes Lungengewebe bedeutet, dass die Sauerstoffaufnahme nicht mehr so gut funktioniert.
Italienische Ärzte schilderten, dass es in dem stark betroffenen Land teils Patienten gibt, die zu spät eine Klinik aufsuchen. RKI-Chef Wieler sagte am Mittwoch, wenn man zunehmende Atemnot verspüre, gelte es, einen Arzt zu konsultieren.
Das Krankheitsbild bei Covid-19 unterscheide sich deutlich von den bisher gekannten Lungenentzündungen, sagt Witzenrath. «Das Besondere daran ist, die Patienten haben zum Teil ein bisschen Luftnot, nicht dramatisch, man hat den Eindruck, die sind gar nicht besonders krank. Dann guckt man sich die Lunge im CT an und die sieht ganz schlimm aus. Es ist etwas, das wir so bisher nicht kennen.» Beispielsweise könne dann schon mehr als die halbe Lunge durch das Virus geschädigt sein. Der Verlauf könne sich dann rapide verschlechtern.
Der Mediziner nennt Alarmsignale: «Wenn Sie eine Treppe hochgehen, die Sie sonst locker bewältigen, und nach der Hälfte merken, Sie bekommen deutlich keine Luft mehr, sollte das nachdenklich stimmen. Vor allem, wenn man schon älter ist, Vorerkrankungen hat.» Angehörige könnten die Atemfrequenz von Erkrankten im Blick behalten: Während der Patient zum Beispiel vorm Fernseher liege, könne man – am besten von diesem unbemerkt – beobachten, wie oft sich der Brustkorb hebt. «Wenn die Zahl in Ruhe über 20 oder 22 pro Minute liegt, ist das auf jeden Fall ein Warnsignal.»
Manche Covid-19-Patienten könnten zunächst auf Normalstationen behandelt werden, sagt Witzenrath. «Zum Beispiel Menschen, die unterstützend etwas Sauerstoff über einen kleinen Plastikschlauch unter der Nase bekommen, und Patienten, deren Vorerkrankung sich unter der Lungenentzündung verschlechtert», erklärt der Mediziner.
Bräuchten Patienten noch mehr Sauerstoff, werde auf Intensivstationen auch eine bestimmte Sauerstoff-Therapie (High Flow) genutzt. Reiche auch das nicht mehr aus, sei eine Beatmung durch einen Schlauch in der Luftröhre nötig, dafür werden Patienten ins Koma versetzt. «Allerdings kann es mit der Dauer der Intubation zu Komplikationen kommen», sagt Witzenrath. Nach bisherigen Daten werde angenommen, dass Betroffene auf Intensivstationen im Durchschnitt 17 Tage beatmet werden müssen. «Das ist sehr, sehr lange.»
Wie hoch der Anteil der Patienten ist, die beatmet werden müssen, lässt sich Experten zufolge, auch wegen der Dunkelziffer unerkannter Infektionen, bisher schwer sagen. Das RKI nennt für China: 2 bis 6 Prozent.
Fotocredits: Patrick Pleul
(dpa)