Datteln – Aufmerksam verfolgen Sofias dunkelbraune Augen den farbenfrohen Spielball. Als sie ihn mit ihren Babyhänden zu fassen kriegt, gluckst sie leise.
Sofia Holzapfel auf dem Arm halten zu können, ist nicht selbstverständlich: Bei ihrer Geburt im Perinatalzentrum Datteln im Dezember 2018 wog sie gerade mal 265 Gramm – weniger als drei Tafeln Schokolade. Sie ist damit eines der kleinsten überlebenden Frühgeborenen weltweit. Sie kam nach nur 24 Schwangerschaftswochen zur Welt.
Sofias Vater Stefan Holzapfel ist immer noch sichtlich bewegt, wenn er von der ersten Zeit spricht. «Ich hatte Angst, die Kleine anzufassen, weil man denkt, man macht etwas kaputt», erzählt der 44-Jährige. Dem Besucher zeigt er das Mützchen, das seine Tochter in den ersten Wochen trug, damit ein Gerät zur Unterstützung der Atmung sicher befestigt werden konnte. Oberärztin Sirma Supcun-Ritzler hatte sie an Heiligabend genäht. «Die kleinsten Frühchenmützen waren noch viel zu groß für Sofias Kopf», berichtet die 41-Jährige. Um sie beim Nähen anpassen zu können, nahm sie kurzerhand eine kleine Christbaumkugel.
Die auf frühgeborene Kinder spezialisierte Kinderärztin freut sich, dass es Sofia so gut geht. «Medizinisch kann man total zufrieden sein», sagt sie und betont: «In jedem Frühgeborenen steckt das Potenzial, sich noch zu entwickeln.»
Die Anfangszeit nach der Geburt war trotzdem nicht ohne:
Die erste Woche wurde das Kind beatmet, danach bekam es weiterhin Sauerstoff durch einen Schlauch in die Nase. Drei Monate nach der Geburt wurde sie an den Augen operiert, damit sich die Netzhaut nicht ablöste. Auch die noch nicht ausgereifte Lunge musste sich erst entwickeln. Chefärztin Prof. Claudia Roll betont: «Sie hatte keine Hirnblutung. Und auch der Darm hat sich gut entwickelt.» Beides mögliche Komplikationen, die bei so früh geborenen Kindern nicht ungewöhnlich sind.
Stefan Holzapfel erzählt, wie sehr er und seine von den Philippinen stammende Frau Mary (37) sich am Anfang zum Beispiel über 10 Gramm Gewichtszunahme an einem Tag gefreut haben. Am nächsten Tag auch. Am dritten Tag habe Sofia dann wieder 30 Gramm abgenommen. «Es war ein Auf und Ab.» Erst ein halbes Jahr nach der Geburt konnten die Eltern ihr Kind endlich mit nach Hause nehmen – mit über 3100 Gramm Gewicht. Sofias Vater ist dankbar, dass sein Arbeitgeber ihn immer unterstützt hat. «Die haben gesagt: Familie geht vor.» So habe er bei Arztterminen etwa Schichten wechseln oder unbezahlten Urlaub nehmen können.
80 bis 90 Kinder mit einem Geburtsgewicht von unter 1500 Gramm kommen jedes Jahr im Perinatalzentrum Datteln zur Welt. «Darunter sind etwa fünf Kinder, die weniger als 500 Gramm wiegen», sagt Roll. Nicht alle überleben. «Wir behandeln nicht um jeden Preis.» Es gebe auch frühgeborene Kinder, bei denen es sehr schwere Komplikationen gebe. Dann werde in Absprache mit den Eltern mitunter palliativ behandelt. Auch wenn ein Kind sterbe, werde es von Ärzten und Schwestern gemeinsam mit den Eltern begleitet und sichergestellt, dass es keine Schmerzen hat. Insgesamt stiegen die Überlebensraten von extrem früh geborenen Kindern aber an, genau wie ihre Chancen auf eine gute Entwicklung.
Das Bangen um Sofia war auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nicht vorbei: Die Kleine hatte einen Herzfehler, zwei Löcher in einer Scheidewand. Neun Stunden lang wurde sie im September in einer Spezialklinik operiert. Sieben Tage lang lag sie im künstlichen Koma. «Wir hatten so viel Angst», sagt Sofias Mutter.
Seit einigen Wochen ist Sofia nun wieder zu Hause, wo sie liebevoll umsorgt wird von ihrer Mutter und ihrer Oma. Sie bekommt Krankengymnastik und wird regelmäßig ärztlich untersucht. Ihre Eltern sind zuversichtlich: «Wenn man nach Hause kommt und sie lacht einen an, dann ist die Welt in Ordnung», sagt ihr Vater.
Fotocredits: Roland Weihrauch
(dpa)