Neue Kampagne gegen Aids gestartet

Berlin – «Ich hab‘ gedacht, ich muss sterben.» Der Satz hängt in der Luft, bis Regina ihn erklärt. Neulich habe wieder eine Bekannte gefragt, ob sie Model sei. «Da hab ich gesagt: «Nee. Ich hatte Aids. Und ich rede drüber».»

Regina ist 58. Das Foto der resoluten Leipzigerin ist bald bundesweit auf Plakaten und jetzt auch im Internet zu sehen. «Ein HIV-Test hätte mir viel erspart» steht neben ihrem Bild. Regina ist das Gesicht für eine neue Kampagne, die bis 2020 Geschichte schreiben will: Das Ende von Aids in Deutschland.

Was wie ein Wunschtraum klingt, liegt für die Deutsche Aids-Hilfe in greifbarer Nähe. Unter dem Motto «Kein Aids für alle» hat sie nun in Berlin ihre neue
Kampagne vorgestellt. Dahinter stehen nicht nur Lebensgeschichten wie die von Regina. Es sind Fakten. Eine HIV-Infektion ist seit 20 Jahre kein Todesurteil mehr, sondern eine chronische Krankheit. Die Medikamente sind inzwischen so gut, dass Patienten heute sogar auf natürlichem Weg Kinder haben können. Doch bei all den Erfolgen gibt es einen großen Haken.

Rund 12 600 Menschen leben in Deutschland mit einer HIV-Infektion, ohne davon zu wissen, schätzen Forscher am Robert Koch-Institut (RKI). Die Mehrzahl von ihnen sind schwule Männer. Das HI-Virus trifft aber nach wie vor auch bi- und heterosexuelle Männer und Frauen. Ob nun aus Unwissen oder Unwillen, Verdrängung oder Scheu, beim Arzt nach einem HIV-Test zu fragen: Ohne Diagnose und Therapie bleibt Aids auf der Agenda. Die Vereinten Nationen haben das Ziel, dass damit 2030 Schluss ist. Die Aids-Hilfe will, dass Deutschland schneller ist.

Regina gibt ihre Leidensgeschichte preis, um dem Traum von 2020 näher zu kommen. Mit einer Einschränkung – ihr Nachname bleibt außen vor. Regina ist Buchhalterin und hat drei erwachsene Söhne. Sie weiß nicht, wo sie sich mit dem HI-Virus infiziert hat, ob bei ihrem letzten Ehemann oder über eine Blutkonserve bei einer lange zurückliegenden Operation.

Es spielt für sie auch keine Rolle mehr. Entscheidender für sie ist, dass jahrelang kein Arzt auf die Idee HIV kam – trotz ihrer schweren gesundheitlichen Probleme von Gürtelrose über Hirnhautentzündung bis hin zu chronischem Durchfall. Für die Aids-Hilfe ist Regina kein Einzelfall. Deshalb richtet sich die neuen Kampagne mit Fortbildungen auch an Mediziner.

«Ich hab 16 Kilo abgenommen und sah völlig fertig aus», erinnert sich Regina. Sie hat an eine Depression gedacht, an Krebs. «Aber auf HIV bin ich nicht gekommen.» Ihr hätte es sehr geholfen, wenn ihr jemand einen Test empfohlen hätte. «Ich hätte niemals Nein gesagt.» So kam ihre Infektion erst nach mehreren Jahren aus Zufall ans Licht – bei den üblichen Testverfahren nach einer Blutspende. Da hatte Regina bereits Aids. Sie hat Glück gehabt, dass die späte Therapie anschlug. Aids kann tödlich enden. Immer noch.

Allein in Deutschland hat die Krankheit nach RKI-Schätzungen bisher seit dem Beginn der Epidemie in den 1980er Jahren rund 28 000 Tote gefordert. Rund 84 000 Menschen leben mit dem HI-Virus. So offen und offensiv wie Regina gehen wohl nur wenige damit um. Ein halbes Jahr hat sie sich nach ihrer Diagnose genommen, um zu überlegen, wie sie damit umgeht. Sie entschied sich für die Wahrheit. «Alles andere wäre für mich eine Lebenslüge», sagt sie heute. Leicht fällt ihr das nicht immer. «Das Schwerste für mich war das Gespräch mit meinen Söhnen», erinnert sie sich. Von ihrem Mann habe sie sich getrennt.

Auch Rita Süssmuth zeigt zum Start der neuen Kampagne Gesicht. Die ehemalige Bundesgesundheitsministerin kam Mitte der 80er Jahre ins Amt. Das war der Höhepunkt der Aids-Hysterie – und eine Zeit, in der Werbung für Kondome ein hochpolitisches Thema war. Jetzt ist Süssmuth 80. Für Strategien der HIV- und Aids-Prävention brennt sie noch immer. «Für die junge Generation ist es offenbar schwieriger geworden, zu verstehen, welche Gefahr von dieser Krankheit ausgeht», sagt sie. HIV ist bis heute nicht heilbar. «Das Thema ist längst nicht zu Ende», ergänzt Süssmuth. «Aber ich glaube noch immer, dass Menschen verantwortlich damit umgehen können.»

Die neue Kampagne zielt in viele Richtungen, von HIV-Testangeboten in Gefängnissen über Streetwork bei Drogenabhängigen bis hin zu Menschen, die ohne Papiere in Deutschland leben.

Das Bundesgesundheitsministerium prüft zur Zeit einen HIV-Test für den Hausgebrauch, wie es ihn in Frankreich und Großbritannien bereits gibt. Die Nachfrage im Nachbarland ist groß. In Deutschland dürfen bisher nur Mediziner mit Einverständnis ihrer Patienten Schnelltests machen. Die Aids-Hilfe hofft, dass im Falle einer Zulassung in Deutschland noch mehr Menschen rechtzeitig von ihrer HIV-Erkrankung erfahren. «Das Ende von Aids ist machbar», ist Vorstandmitglied Manuel Izdebski überzeugt.

Bei Verdacht auf HIV-Infektion mit Test nicht warten

Wer befürchtet, sich mit dem HI-Virus infiziert zu haben, sollte sich unbedingt schnell testen lassen. «Es ist immer besser Bescheid zu wissen», sagt Holger Wicht von der Deutschen Aids-Hilfe mit Blick auf Betroffene, die in diesem Moment Angst vor dem Ergebnis des Tests haben. Ist das Ergebnis dann negativ, ist die Erleichterung groß. Ist es positiv, kann mit der Behandlung begonnen werden. Und dabei gilt: je schneller, desto besser.

Denn wer sich rechtzeitig behandeln lässt, kann verhindern, dass Aids ausbricht. Viele glaubten, mit einer HIV-Infektion sei das Leben mehr oder weniger vorbei, sagt Wicht. Dann wollen sie es lieber gar nicht wissen. Das ist aber eine falsche Einstellung. HIV lässt sich zwar nicht heilen. «Aber mit einer HIV-Infektion hat man eine hohe Lebenserwartung, Medikamente verhindern auch die Übertragung», sagt Wicht. Mit der Infektion lasse sich ein normales Leben führen. Wer sich jedoch nicht behandeln lässt, riskiert, dass es wirklich so schlimm wird, wie befürchtet – eine selbsterfüllende Prophezeiung.

Testen lassen können sich Betroffene zum Beispiel beim Hausarzt, bei den Gesundheitsämtern oder Aids-Beratungsstellen. Wird der Test beim Hausarzt gemacht, landet das Ergebnis direkt in der Krankenakte. «Das kann beim Abschließen bestimmter Versicherungen zu Problemen führen», sagt Wicht. Bei Gesundheitsämtern zum Beispiel ist der Test dagegen in der Regel anonym. Langfristig lässt sich der Gang zum Arzt aber nicht vermeiden, schließlich muss mit der Behandlung begonnen werden.

Generell gilt: Je nach Art des Tests lässt sich eine Infektion erst nach sechs bis zwölf Wochen ausschließen. Solange sollte man mit dem Test also auf jeden Fall warten. Und: Besser ist es, sich gar nicht erst zu infizieren – und sich beim Sex zu schützen.

Fotocredits: Britta Pedersen
(dpa)

(dpa)
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