Kaufen bis zur Pleite – Wenn Konsum zur Sucht wird

Berlin – Hier ein neues Kleid, dort ein paar Schuhe – meist beginnt es ganz harmlos. Doch manche Menschen geraten irgendwann in einen Kaufrausch, den sie nicht mehr kontrollieren können. Sie shoppen auch, was sie nie benutzen, und horten Unmengen sinnloses Zeug.

Das Problem: Auf Dauer verschulden sich die Betroffenen. Und nicht selten stehen sie am Ende ganz allein da – ohne Job, ohne Partner, ohne Freunde.

Kaufsucht gehört zu den substanzungebundenen Abhängigkeiten. Im Gegensatz etwa zu Drogenabhängigkeit ist der Betroffene nicht nach einer Substanz wie Kokain oder Alkohol süchtig, sondern nach einer bestimmten Tätigkeit. Die Mechanismen gleichen sich aber, erklärt Prof. Astrid Müller von der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Medizinische Hochschule Hannover. In beiden Fällen feuert das Belohnungssystem, wenn der Süchtige mit seinem Suchtstoff konfrontiert wird.

Trotzdem gibt es bisher nur eine substanzungebundene Abhängigkeit, die als Krankheit anerkannt ist: die Glücksspielsucht. «Andere Abhängigkeiten wie zum Beispiel die Kaufsucht werden bagatellisiert», sagt Müller. Wie viele Menschen in Deutschland betroffen sind, ist schwer zu sagen. Die Zahlen unterscheiden sich – je nachdem, ab wann jemand als kaufsüchtig definiert wird. Eine
Metaanalyse auf der Basis von Studien aus unterschiedlichen Ländern ergab, dass im Mittel rund fünf Prozent der Bevölkerung kaufsüchtig sind.

Prof. Karl Kollmann, der unter anderem für die österreichische Arbeiterkammer zum Thema Kaufsucht geforscht hat, ist überzeugt: «Gesellschaftlich und kulturell besteht der Anspruch, auf allen Ebenen ein erfülltes Leben zu führen.» Das erzeuge Druck, für den viele Menschen einen Ausgleich suchen: Nach einem stressigen Arbeitstag belohnen sie sich mit dem Kauf eines neuen Pullovers. Der Konsum sei die simpelste Medizin, um Frustration aus dem Alltag zu kompensieren, erklärt Kollmann.

Das an sich ist natürlich kein Problem. Bei Menschen mit Kaufsucht verselbstständigt sich dieser Mechanismus jedoch. «Aus einem „Liking“ wird ein „Wanting“», erklärt Müller. Dann macht Kaufen keinen Spaß mehr, es befriedigt nur noch einen Drang – und vertreibt Langeweile.

Von ihrem Umfeld werden Kaufsüchtige häufig für willensschwach gehalten – eine Stigmatisierung, unter der sie leiden. «Betroffene haben häufig Schuldgefühle und schämen sich für ihr Problem», sagt Prof. Nina Romanczuk-Seiferth, leitende Psychotherapeutin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité. Auch gegenüber engen Vertrauten verharmlosen, rechtfertigen oder verheimlichen viele deshalb ihre Kaufexzesse.

Romanczuk-Seiferth rät Angehörigen, das Kaufverhalten offen anzusprechen und dem Betroffenen zu helfen, sich seine Probleme einzugestehen. Damit das funktioniert, helfe es, verständnisvoll und nicht anklagend auf den anderen zuzugehen. Trotzdem sei es wichtig, die Dinge beim Namen zu nennen. Nur so lässt sich der Betroffene motivieren, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Geeignete Beratungs- und Behandlungsangebote für Kaufsüchtige sind in Deutschland allerdings rar, sagt Müller: «Die Versorgungslage ist miserabel.» Ist die Therapie abgeschlossen, sei es ratsam, sich eine Selbsthilfegruppe zu suchen. «Kaufsüchtige sind wie alle anderen Süchtigen nie vollständig geheilt», stellt Müller klar. Sie müssen mühevoll lernen, ihre Impulse besser zu kontrollieren, und diese Kontrolle ein Leben lang aufrechterhalten.

Fotocredits: Christin Klose
(dpa/tmn)

(dpa)
Zurück Menstruationstassen - eine Tampon-Alternative?
Vor Ärzte verordnen zunehmend Opioide