Hildegard von Bingen – ein Name der sicher Vielen geläufig ist. Doch was genau zeichnet diese Frau aus, welche Legenden und Geschichten ranken sich um sie? Was genau weiß die moderne Forschung von der Benediktinerin, die schon zu Lebzeiten verehrt wurde?
Wahrscheinlich wurde Hildegard um 1098 als zehntes Kind der Eheleute Hildebert und Mechthild von Bermersheim geboren. Bereits im Alter von fünf Jahren beginnen Visionen das Kind heimzusuchen. Sie werden Teil ihres Lebens bleiben. Hildegard von Bingen, die am 17. September 1179 im Kloster Rupertsberg bei Bingen starb, gilt nicht nur als eine der herausragendsten Frauengestalten des Mittelalters, sondern auch als eine der ersten deutschen Ärztinnen (wobei diese Aussage wohl eher kritisch zu betrachten ist) und erste Vertreterin der deutschen Mystik.
Die Mystik hat, in ihrer christlichen Ausprägung, eine Verschmelzung mit Gott zum Ziel. Dies wird beispielsweise durch Askese, Gebete und Gesänge umgesetzt. Es geht im Grunde darum, die Liebe zu Gott mit der Liebe zu den Nächsten in Einklang zu bringen (zum Beispiel durch Befolgung der Heiligen Schrift) und um eine Selbstfindung. Die Identität wird nicht, wie es vielleicht zunächst den Anschein hat, durch die Hinwendung zu Gott aufgegeben, sondern herausgestellt und gefördert.
Hildegard von Bingen war seit 1136 Äbtissin, leitete zwei Klöster, führte eine ausgedehnten Briefwechsel mit König Friedrich Barbarossa und Papst Alexander III (dabei hielt sie auch Kritik an den, ihr übergeordneten Männern, nicht zurück), hielt Predigten auf Märkten ab (zu der Zeit galt das als geradezu unverschämt) und machte mehrere Reisen im Zeichen der Seelsorge. Darüber hinaus beschäftigte sie sich mit Ethik, Musik, Natur- und Pflanzenheilkunde und vielem mehr. Sie verfasste Schriften über diese Gebiete, die bis heute teilweise erhalten sind. An dieser Stelle soll es natürlich besonders um die Texte zur Heilkunde gehen. Das erste Werk, „Causae et Curae“ entstand nach 1150 und beschäftigt sich mit Ursache und Heilung von Krankheiten. Dabei entwickelte die Gelehrte keineswegs neue Formen der Krankheitsbehandlung. Vielmehr trug sie die Erkenntnisse der Volksmedizin zusammen und verband dieses Wissen mit dem traditionellen, griechisch-lateinischen. Sie benutzte dabei auch erstmals die Pflanzennamen, die im Volk verwendet wurden und schrieb neue Erkenntnisse über Krankheiten, Körper und Sexualität nieder. Im Mittelpunkt ihrer Lehren steht die ganzheitliche Heilung. Man muss verstehen, woher Krankheiten kommen, was sie verursacht um sie dann, mit der Hilfe des Glaubens und der Natur (Pflanzen und Edelsteine), zu heilen.
Wie konnte eine Frau im Mittelalter all dies vollbringen, wie hat sie es geschafft, sich Gehör und Respekt zu verschaffen? Die Geschichte lehrt uns, dass Frauen zu dieser Zeit wenig (bis gar keine) Rechte hatten . Es herrschte ein absolutes Patriarchat. Der Schlüssel liegt wohl in Hildegards Selbstverständnis: Sie sah sich als Prophetin und ihr Umfeld teilte glücklicherweise diese Auffassung. Schon zu Lebzeiten wurde die Äbtissin fast wie eine Heilige verehrt.
Im 20. Jahrhundert wurden ihre Schriften über Naturheilkunde aufgearbeitet. Es entstand der Begriff „Hildegard-Medizin“, ein Name, der sich eher an Konzepten zur Vermarktung der alten Erkenntnisse orientiert und kritisch zu betrachten ist.
Liest man heute die Übersetzungen der Schriften, sieht man vieles mit den Augen des 21. Jahrhunderts. Viele neigen deswegen dazu, die Methoden als Scharlatanerie abzutun. Betrachtet man die Werke jedoch mit der gesunden Distanz unserer Zeit und dem Wissen, dass es sich hier um Glaube und Tradition des Mittelalters handelt, kann man wohl viele Lehren, vor allem zur Verwendung von Pflanzen und Heilkräutern, ziehen. Denn die Erkenntnisse stammen, das sollte nicht vergessen werden, hauptsächlich aus der Volksmedizin, die ja heutzutage auch noch von vielen Menschen benutzt wird. Gerade bei leichten Beschwerden erlebt die Naturheilkunde, die sich in vielerlei Hinsicht mit der „Volksmedizin“ überschneidet, ein Revival. Zurecht, denn mit der Natur heilen ist oft einen Versuch wert und vielleicht in vielerlei Hinsicht eine echte Alternative zu chemisch erzeugten Medikamenten.
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