Schleswig/Kiel (dpa/lno) – Das Schmerzmittel Fentanyl, das bis zu 50
mal stärker wirkt als Heroin und 100 mal stärker als Morphin, ist in
der Drogenszene «ein zunehmendes Problem». Diese Einschätzung
jedenfalls äußert die Leiterin der Beratungsstelle Drogenhilfe
Kiel-Ost, Birthe Kruska.
«Der Konsum hat zugenommen», berichtet Kruska. «Denn aus der Sicht von Süchtigen ist Fentanyl wegen seiner Hochpotenzen wirksamer und verlässlicher als Heroin, dass im Straßenverkauf angeboten wird.» In Schleswig und Umgebung starben von Januar 2019 bis Januar 2020 vier Süchtige im Alter von 23 bis 40 Jahre. Sie hatten sich illegal Fentanyl-Pflaster beschafft.
Drogenabhängige nutzen den Wirkstoff als Ersatz für Heroin und
sonstige Opioide. Manche reichern Heroin mit Fentanyl extra noch an.
Einige Dealer strecken aus Profitgründen wiederum Heroin mit
Fentanyl, je nach Marktpreis. Um Todesfälle zu vermeiden, informiert
die Drogenhilfe über die extreme Gefährlichkeit von Fentanyl und rät
vom Konsum des synthetischen Opioids eindringlich ab. «Falls manche
Süchtige dennoch meinen, Fentanyl nehmen zu müssen, raten wir dazu,
erworbenen Stoff allenfalls in Kleinstmengen zu testen», sagt Kruska.
Denn die jeweilige Potenz von angebotenem Fentanyl sei für
Konsumenten nicht erkennbar.
Nach der
bundesweiten Drogenstatistik von 2017 und 2018 war
Fentanyl-Konsum allein- oder mitverantwortlich für 8,6
beziehungsweise 4,1 Prozent der Drogentoten (2017: 1272 Tote; 2018:
1276 Tote). Der Anteil der Überdosierungen verursacht durch Fentanyl
schwankt zwischen 9 und 13 Prozent, wie aus dem Drogen-, und
Suchtbericht 2018 der Drogenbeauftragten der Bundesregierung
hervorgeht. Die bundesweiten Zahlen für 2019 liegen noch nicht vor.
Zahl der Toten geht zurück
«Bei den illegalen Substanzen tritt Fentanylmissbrauch in Deutschland
eher selten auf», sagt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung,
Daniela Ludwig (CSU). Die Todesfälle seien in den vergangenen Jahren
rückläufig gewesen. «Aufgrund der hohen Wirkstärke ist Fentanyl
jedoch einer der riskantesten Stoffe. Daher kann ich nur vor dem
Missbrauch warnen. Wir stehen hier im ständigen Austausch mit den
Behörden, den Ärzten und Suchtberatungsstellen. Das Thema haben wir
natürlich im Blick!»
Zu den Opfern in den USA gehörte der US-Sänger Prince, der 2016 an
einer Überdosis Fentanyl starb. Wie kommen Drogenabhängige in
Deutschland an das verschreibungspflichtige Schmerzmittel? Experten
nennen verschiedene Möglichkeiten vom illegalen Bestellen im Darknet
bis zum Durchsuchen von Mülleimern von Pflegeheimen, um benutzte
Pflaster auszukochen und so den Wirkstoff zu gewinnen. Schwarze
Schafe unter den Pflegediensten sollen noch wirksame Pflaster bewusst
nach kurzer Zeit Patienten abreißen wegen des Fentanyls und veräußern
oder sogar neue Pflaster verschwinden lassen. Aber auch
«Ärztehopping» von Drogenabhängigen, die ein Rezept erhalten wollen,
ist üblich.
Für die Aufbewahrung von Fentanyl in Krankenhäusern,
Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen gelten strenge Regeln und
Nachweispflichten, wie die schleswig-holsteinische Polizei betont.
Das synthetisch hergestellte Opioid werde in der Schmerztherapie bei
schweren Erkrankungen als Pflaster verabreicht, so dass der Wirkstoff
kontrolliert durch die Haut aufgenommen werden könne. Außerdem finde
Fentanyl in der Anästhesie Anwendung.
Fall in Schleswig-Holstein ist ungewöhnlich
Der Schleswiger Fall sei ungewöhnlich, sagt eine Sprecherin des
Landeskriminalamtes (LKA). «Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts
der illegalen Abgabe von Betäubungsmitteln und des dadurch
leichtfertig verursachten Todes wurden in allen vier Fällen
eingeleitet.» Ähnliche Fälle seien dem LKA in Schleswig-Holstein
nicht bekannt. Die Zentralstelle Rauschgiftkriminalität im LKA habe
einen Blick auf die weitere Entwicklung. Laut Polizei kannte sich die
die Schleswiger Gruppe und konsumierte auch gemeinsam Drogen.
Die Polizei warnt dringend davor, Fentanyl anders als ärztlich
verordnet zu verwenden: «Es kann – insbesondere auch bei
gleichzeitiger Einnahme anderer medizinisch wirksamer Substanzen –
akute Lebensgefahr bestehen!»
Fotocredits: Carsten Rehder
(dpa)