Berlin – Avocadotoast, Sushi – Trinknahrung? Wer das erste Mal auf Isabelles Profil auf Instagram landet, wähnt sich vielleicht auf einem Foodblog.
Die Beschreibung sorgt für Klarheit: «Unistudentin, gebe mein Bestes, meine Magersucht zu überwinden», steht dort auf Englisch. Isabelle ist 24 Jahre alt und hat eine Essstörung. «Hier kann ich meine Geschichte erzählen», sagt Isabelle über ihr Profil.
Tagebuch und Selbsthilfegruppe
Isabelles Geschichte und die ihrer Essstörung ist eine mit Höhen und Tiefen. Auf dem Account
«lifeof.isi» gibt sie täglich Updates aus ihrem Leben zwischen Vollzeitstudium und Essstörung. Ende 2018 wurde Isabelle mehrmals ohnmächtig und kam ins Krankenhaus. Ihre Follower nahm sie mit. Viele von ihnen haben selbst eine Essstörung. Mit ihnen tauscht Isabelle Tipps aus, sie spenden sich gegenseitig Mitgefühl. «Eine große unkontrollierbare Selbsthilfegruppe», nennt sie ihren Account deshalb.
Content zum Umgang mit Essstörungen nehme in den sozialen Medien beständig zu, sagt Silke Naab, Chefärztin der Jugendabteilung der Schön Klinik Roseneck. Sie sieht Vor- und Nachteile in den Plattformen: Instagrammer wie Isabelle dienten einerseits als Identifikationsfigur. Zu sehen, dass Betroffene trotz der Rückschläge weiter gegen die Krankheit kämpften, könne sehr motivierend sein. Aber Naab warnt auch: Sobald die Essstörung verherrlicht wird, sollten Follower unbedingt Abstand von dem Profil nehmen.
Verherrlichung statt Warnung
Die Essstörung verherrlichen – genau das passiert in Pro-Ana- oder Pro-Mia-Foren. «Da wird die Krankheit zum Lifestyle», sagt Silja Vocks, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen und Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Osnabrück. Pro-Ana ist die Kurzform für Pro Anorexie, also Magersucht, Pro-Mia steht für Pro Bulimie.
Wie gefährlich Pro-Ana-Gruppen sind, weiß Isabelle aus eigener Erfahrung. Mit 17 sei sie über eine solche Gruppe bei einem Messenger-Dienst «so richtig in die Essstörung gerutscht», sagt die mittlerweile 24-Jährige. Jede Woche 500 Gramm abnehmen war das Ziel. Isabelle nahm ab und ging irgendwann immer mit der Angst ins Bett, am nächsten Morgen nicht mehr aufzuwachen. Dann habe sie sich eingestanden, dass es so nicht weitergehen kann.
Betroffen sind meist junge Frauen
Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
(BZgA) haben drei bis fünf Prozent der Menschen in Deutschland eine Essstörung. Darunter fallen Magersucht, Bulimie und Binge-Eating. Dabei haben die Betroffenen ähnlich wie bei der Bulimie Essanfälle, übergeben sich aber danach nicht. Häufig würde die Erkrankung aber als eine Mischform auftreten.
Etwa ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen zeigten Symptome einer Essstörung. Männer seien deutlich seltener betroffen als Frauen, so die BZgA. Isabelle weiß, dass sie ihren rund 1200 Followern auf ihrem Profil keine Anleitung zur Heilung einer Essstörung gibt: «Ich bin ja selbst noch dabei, meinen endgültigen Weg aus der Krankheit zu finden».
Rückfälle nicht ausgeschlossen
Obwohl Isabelle seit Jahren gegen die Krankheit kämpft und über längere Phasen nicht untergewichtig war, hat sie immer wieder Rückfälle erlebt – wie vor einem Jahr. Der Rückfall hält bis heute an. Instagram gebe ihr dann Kraft. Hier treffe sie auf Menschen, die eine ähnliche Geschichte haben und sie «besser verstehen» als Menschen ohne Essstörung, sagt Isabelle.
Auch wenn der Content für Follower durchaus hilfreich sein kann – insbesondere Betroffenen, die noch tief in der Krankheit steckten, rät Naab davon ab, ihre Geschichte im Netz zu teilen. «Es ist ein relativ anonymer Raum in dem sie sehr persönliche Informationen teilen, ohne zu wissen, wie andere diese Informationen weiter verwenden.»
Instagram darf nicht Parallelwelt sein
Menschen mit Anorexia nervosa, Magersucht, seien häufig sozial isoliert und fänden in den sozialen Medien das ersehnte Echo, sagt Silja Vocks. Damit sei das Problem aber nicht gelöst, warnt Naab: «Es ist nicht damit getan, dass ich meine Sorgen und Ängste im Netz teile, sondern diese Erfahrung muss ich auch im realen Leben machen. Schwierig wird es immer dann, wenn es eine Parallelwelt gibt.» Die Verbindung mit anderen über Instagram könne aber ein guter erster Schritt sein, sagt die Ärztin.
Menschen, die bei einem Angehörigen etwa Symptome einer Essstörung feststellen, rät Naab, das Gespräch zu suchen. Das Thema sei bei Betroffenen aber häufig schambesetzt. Darum könne das Angebot, mit einer anderen Vertrauensperson oder einem Therapeuten zu sprechen, häufig weiterhelfen. Eltern sollten sich informieren, welche Medien ihre Kinder nutzen. Auch hier könne ein offenes Gespräch helfen.
Isabelle hat fast alle ihre Freundinnen und Freunde auf Instagram blockiert – unter anderem, weil sie ihnen keine «zu großen Sorgen» machen will. Mit den Followern sei der Austausch ungezwungener. «Ich spreche ja nicht direkt eine Person an, wie es im Kontakt mit einer Freundin wäre.» Die Follower, die sich damit beschäftigen wollen, tun es. «Und wenn nicht, dann nicht.»
Fotocredits: Monique Wüstenhagen,Anne Pollmann,Franziska Gabbert
(dpa/tmn)