Das Für und Wider der Beatmungstherapie

Berlin – Die Diskussion darüber, wer beatmet werden sollte und wer nicht, flammt in der Corona-Krise immer wieder auf. Die Sorge ist weiterhin groß, dass Beatmungsplätze in den Krankenhäusern knapp werden könnten, wenn sich die Ausbreitung beschleunigt.

Auch aus diesem Grund haben Fachgesellschaften Empfehlungen für Ärzte herausgegeben, was im Notfall als Kriterium herangezogen werden darf – und was nicht. Experten raten Risikopatienten, schon vorher anzusetzen.

Das Corona-Virus, aber auch die Behandlung kann sich bei Menschen ganz unterschiedlich auswirken. «Eine Gebrauchsanweisung für alle Fälle kann es nicht geben», sagt Guido Michels. Er ist Chefarzt der Klinik für Akut- und Notfallmedizin am St. Antonius-Hospital in Eschweiler. Jeder Einzelfall müsse für sich bewertet werden. Was Michels damit meint, wird deutlich beim Blick auf schwere Krankheitsverläufe.

Bakterielle Infektion durch Schläuche

Wenn das Virus eine schwere Lungenentzündung auslöst, gelangt unter Umständen durch die Entzündung zu wenig Sauerstoff ins Blut. Patienten werden an Beatmungsgeräte angeschlossen. Das birgt Risiken. Über die Schläuche etwa kann zusätzlich zu der Viruserkrankung eine bakterielle Infektion in der Lunge entstehen. Eine zweite Lungenentzündung sozusagen. Das Risiko ist höher bei Patienten, deren Körper durch Vorerkrankungen ohnehin geschwächt sind.

Zudem kann durch zu viel Druck im Rahmen der Beatmung die Lungenstruktur platzen. Auch der hohe Sauerstoffanteil, mit dem die Patienten beatmet werden, könnte das Lungengewebe schädigen. Die Muskulatur des Zwerchfells, dem Hauptatemmuskel, kann sich abbauen. «Alle Komplikationen beziehungsweise Nebenwirkungen der maschinellen Beatmung sind mit einer erhöhten Mortalität assoziiert», sagt Michels. Mit Beginn der künstlichen Beatmung müsse darum direkt auch die Entwöhnung bedacht werden.

Beatmungsgeräte kein Garant für Überleben

Das
Deutsche Ärzteblattberichtet unter Berufung auf eine britische Studie, dass nur jeder dritte Patient, der in Großbritannien auf der Intensivstation beatmet wurde, lebend entlassen werden konnte. Auch andere Studien zeigen, dass die Beatmungsgeräte längst kein Garant für Überleben sind. Sollte die maschinelle Beatmung also Ultima Ratio sein?

«Das wäre ein großer Fehler», sagt Michael Pfeifer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Wenn zu spät mit der invasiven Therapie angefangen werde, bedeute das schlichtweg eine höhere Sterblichkeit. Eine sinnvolle und richtige Beatmung könne also die Überlebensrate erhöhen, sagte Torsten Bauer, stellvertretender Präsident der DGP. Das gehe aus Erfahrungen mit vergangenen Erkrankungen hervor. Für Covid gebe es diese Daten noch nicht. Die sollten aber in den kommenden Monaten vorliegen, hieß es.

Die Entscheidung darüber, ob schlussendlich Risiken oder Nutzen überwiegen, sei nicht schwarz-weiß, sagt Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Empfehlungen der Fachgesellschaften dürften nur als Hintergrundinformation für die Diskussion im Einzelfall dienen – und nicht «als Check-Liste». Schlussendlich entscheide der Arzt, welche Therapie er anbiete und welche nicht.

Höherr Personalaufwand bei nicht-invasiver Beatmung

Eine Behandlungsmöglichkeit ist laut Frank Heimann, Vorsitzender des Bundesverbands der Pneumologen und Schlaf- und Beatmungsmediziner, auch die nicht-invasive Beatmung. «Das wird unter den Beatmungsspezialisten diskutiert. Die Gefahr, die Lunge zu schädigen, ist bei dieser Methode geringer.» Diese Form der Beatmung sei allerdings mit einem höheren Personalaufwand verbunden, weil der Patient häufig wach sei. Manche befürchteten auch mehr Tröpfchenproduktion und dadurch eine größere Ansteckungsgefahr. Die DGP macht in einer Empfehlung jedoch deutlich, dass die Angst vor Ansteckung kein primärer Intubationsgrund sein dürfe. Vielmehr sei hier ausreichend Schutzkleidung in den Kliniken notwendig.

«Für Corona ist die nötige Datengrundlage, um verlässliche Aussagen treffen zu können, gerade erst im Entstehen», sagt Heimann. In der Behandlung spielten darum derzeit die Erfahrungen des Beatmungsteams sowie die verfügbaren Ressourcen eine besonders große Rolle.

Radbruch rät Menschen und besonders Risikopatienten dazu, sich im Voraus Gedanken darüber zu mache, was sie sich in der akuten Situation wünschen und ob sie beatmet werden wollen. Zum Beispiel mithilfe einer Patientenverfügung oder eines Notfallbogens. Der legt fest, welche Behandlungen im Notfall vorzunehmen sind und welche nicht. Radbruch beobachtet häufig Widerstand gegen diese Auseinandersetzung in Seniorenheimen: «Viele wollen jetzt nicht über Tod und Sterben nachdenken.»

Notfallpläne für Senioren- und Pflegeheime

«Wenn man so einen Notfallplan hätte, wäre das eine große Hilfestellung in den Kliniken», sagt Michels. Der Notfallmediziner schlägt darum vor, dass regionale Palliativnetzwerke gemeinsam mit Senioren- und Pflegeheimen diese Notfallpläne entwickelten. Für jeden Bewohner könne so geklärt werden, wie im konkreten Ernstfall vorgegangen werden soll. Menschen, die zum Beispiel nicht beatmet werden wollen, könnten dann palliativ versorgt werden.

Corona-Patienten, die keine Aussicht mehr auf eine Heilung haben, litten vor allem unter Luftnot, sagt Radbruch. «Das löst oft Angst aus.» Hinzu kämen Verwirrtheit, Unruhe und Husten, teilweise Durchfall. Manche Patienten klagen über Muskelschmerzen, «wie bei einer starken Grippe, wo einem der ganze Körper wehtut».

In der palliativen Versorgung wird mit Morphin gegen die Beschwerden vorgegangen. Die Patienten spüren dann keine Luftnot mehr. Beatmungspatienten im Krankenhaus würden mit Medikamenten in einem künstlichen Koma gehalten und verspürten ebenfalls keine Luftnot. «Ersticken muss in Krankenhäusern niemand. Und auch in den Pflegeheimen nicht», versichert Michels.

Radbruch hat sich bei einzelnen Pflegeheimen erkundigt, wie mit Corona erkrankte Menschen dort gestorben sind. Sie seien nicht erstickt, habe man ihm berichtet. Anders könne das bei Menschen sein, die nicht medizinisch versorgt würden und zum Beispiel zuhause sterben.

Was wünschen die Patienten?

Laut einer repräsentativen Umfrage des
Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung wünschen sich Menschen vor allem schmerzfrei, gut versorgt, nah am Gewohnten, sozial eingebunden und selbstbestimmt zu sterben. Die Befragung wurde im Rahmen der Studie «Auf ein Sterbenswort» durchgeführt, die am 23. April veröffentlicht werden soll.

Diese Wünsche kennt auch Radbruch aus seiner Arbeit. Er leitet das Zentrum für Palliativmedizin am Malteser Krankenhaus in Bonn sowie die Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn. Dort dürfen Menschen, die im Sterben liegen, unbegrenzt Besuch empfangen. So habe es auch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin für die Corona-Patienten auf den Intensivstationen empfohlen – unter Einhaltung der Schutzvorkehrungen. «Wichtig ist vor allem, dass man den Menschen die Chance gibt, vorher zu äußern, was sie sich für den Notfall wünschen», sagt Radbruch.

Fotocredits: Marijan Murat
(dpa)

(dpa)
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