Köln – Es gehe ihm gut, sagt «Bio», aber nur um sich sofort zu verbessern: «Es geht mir gut im Rahmen der gegenwärtigen Verhältnisse, die nicht gut sind. Die Frage «Wie geht es Ihnen?» ist heutzutage schwer zu beantworten. Eigentlich muss man sagen, es geht mir schlecht. Weil ich mir die ganze Zeit überlege: Was passiert hier?»
Alfred Biolek, der ehemalige Talkmaster und Kochshow-Pionier, ist 85 Jahre alt und schon länger nicht mehr der fitteste. Damit gehört er in Corona-Zeiten zur sogenannten Risikogruppe. So wie für Millionen ältere und gesundheitlich angeschlagene Menschen gilt für ihn die Empfehlung, seine Sozialkontakte auf ein Mindestmaß zu begrenzen und die Wohnung nach Möglichkeit nicht mehr zu verlassen.
Lebensgewohnheiten müssen aufgegeben werden
Das befolgt er. «Ich halte mich an das, was vom Staat empfohlen wird.» Vor dem Corona-Ausbruch hat er mehrmals in der Woche im Restaurant gegessen – das ist jetzt gestrichen. Auch der nachmittägliche Spaziergang zur Bäckerei schräg gegenüber von seiner Wohnung muss entfallen. Sein Adoptivsohn Scott Biolek-Ritchie erledigt jetzt solche Sachen für ihn: «Einkaufen, Medikamente, zum Arzt Rezepte abholen», erzählt er. Das Kochen übernehmen Scott und ein guter Freund von «Bio» im Wechsel. Sie sind die einzigen, zu denen er jetzt noch persönlichen Kontakt hat.
Die ersten Frühlingstage in der vergangenen Woche hätte er gern draußen genossen. Der Himmel war tiefblau, im Kölner Stadtgarten direkt vor seiner Haustür blühten die Blumen, Sträucher und Bäume, die Vögel sangen – und aus dem Radio kamen die neuesten Corona-Nachrichten. Ein merkwürdiger Kontrast.
Wenigstens kann er sich auf den Balkon setzen. Wie lange das Ganze wohl noch dauert? «Schwer zu sagen. Man hofft, nicht zu lang. Aber wie es wirklich sein wird? Man wird sich eine Weile dran gewöhnen müssen.» Vielleicht den ganzen Sommer über? «Das wäre hart!»
Konfrontiert mit der eigenen Sterblichkeit
Jemand, der weiß, wie es ist, ein ganzes Jahr lang zuhause bleiben zu müssen, ist Andrew Davies (68). Bei dem Filmemacher wurde im vergangenen Jahr Magenkrebs festgestellt. Er musste sich operieren lassen und bekam eine schwere Chemotherapie. Sein Immunsystem war dadurch geschwächt. «Man ist plötzlich konfrontiert mit seiner eigenen Sterblichkeit.» Während er das sagt, sitzt der große hagere Mann in dem verwunschenen Garten hinter seinem Haus in Köln. Auf dem Boden läuft zwischen abgestorbenen Ästen eine Maus hin und her.
Dieses Jahr wollte der Deutsch-Brite eigentlich die Reisen nachholen, die er im vergangenen Jahr nicht machen konnte. Seine Familie in England besuchen, das Baltikum entdecken, in Italien Sonne tanken. Aus all dem wird nichts werden. Viel zu riskant. Er wird weiter das Haus hüten müssen, vielleicht noch ein weiteres Jahr.
«Man hat das Gefühl, dass man sich selbst in einem Science-Fiction-Film befindet», meint er zur Corona-Krise. «Man spielt mit, weiß aber nicht, wie es ausgeht. Das ist sehr irreal. Wir haben mit einer solchen Situation keine Erfahrung, denn unsere Generation hat so etwas noch nie erlebt. Wir haben zum Glück nie einen Krieg mitgemacht.»
Er sagt, dass er im letzten Jahr viel gelernt habe. «Ich habe gelernt, dass ich alleine sein kann. Ich habe festgestellt, dass ich keine Langeweile kenne.» Seine Bilanz lautet: Man muss keine Angst haben vor einer längeren Periode in den eigenen vier Wänden. Vor allem auch weil man heute über die sozialen Netzwerke in Kontakt zu Familie und Freunden bleiben kann. «Man hat diese ganze Technologie, das ist wunderbar. Früher gab es das nicht.»
Kontaktverbot mindert Lebensqualität
Noch wesentlich schwerer spielt die Krise all denjenigen mit, die in einem Alten- oder Pflegeheim leben und nun keinen Besuch mehr bekommen. Der wichtigste Lichtblick im Alltag fällt weg. Und niemand kann sagen, für wie lange. Die Pflegeeinrichtungen unterstützten die Besuchsverbote, sagt Claudia Engel, Sprecherin des Bundesverbandes Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (bad) in Essen. Aber gleichzeitig gelte auch: «Es ist für den Einzelnen mitunter tragisch, zum Beispiel wenn man Demenzkranke zurücklässt und nicht weiß, wie sie damit umgehen.» Wenn ein Alzheimerpatient nur noch seine Frau erkennt, diese jetzt aber zwei Monate nicht mehr kommen darf, dann kann es sein, dass anschließend auch sie aus seinem Gedächtnis gelöscht ist.
Der ehemalige Manager Peter, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, hat angesichts der Krise eine Entscheidung getroffen, die manch einen schockieren dürfte. Der 86 Jahre alte Kölner lebt noch selbstständig in seiner Wohnung, ist aber schwer krank. Familienmitglieder und eine befreundete Nachbarin betreuen ihn. Peter will diese letzten Kontakte nicht einschränken, er will auch nicht auf Distanz gehen, weil diese Begegnungen für ihn das letzte Stück Lebensqualität sind. Er habe mit seinem Dasein abgeschlossen, sagt er: «Wenn ich infiziert werde, dann ist das eben so. Wenn ich sterbe, dann habe ich meinen Frieden damit.»
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(dpa)