Hannover – Eine Geburt ist für jede Frau ein überwältigendes Erlebnis: Heftige Schmerzen, riesige Anstrengung und am Ende der Schinderei ist doch alles gut – dafür sorgt das kleine, wunderbare Baby, das nun auf der Welt ist.
Aber manchmal ist nicht alles gut, selbst wenn das Baby gesund ist. Für manche Frauen ist die Geburt ein traumatisches Erlebnis.
Dass man nicht alles durch die rosarote Brille sieht, ist noch ganz normal, sagt Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF) und Gynäkologe. «Nach der Geburt fällt die körpereigene Produktion von Östrogenen schlagartig ab: Viele Frauen erleben das als eine vorübergehende, teilweise sehr tiefe Niedergeschlagenheit, die durch die Schmerzen, den Blutverlust und den Schlafmangel verstärkt wird.»
Babyblues, Depression oder Trauma?
Wenn eine solche Phase nicht nach einigen Tagen vorübergeht oder kein Kontakt zum Kind aufgebaut werden kann, stecke aber mehr als der sogenannte Babyblues dahinter. Das kann zum Beispiel die sogenannte Wochenbett-Depression sein – oder ein Trauma.
Wie macht sich das Trauma bemerkbar? Wolfgang Lütje, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG), nennt als klassische Zeichen Übererregung und sogenannte Flashbacks – eine plötzliche Erinnerung an die Geburt, die sich fast so anfühlt, als würde man sie noch einmal erleben.
Das Gefühl der Fremdbestimmung als Auslöser
Die möglichen Ursachen für ein Trauma sind so vielfältig wie der Geburtsverlauf selbst. «Natürlich gibt es Eingriffe, die potenziell gehäuft mit einem Trauma verbunden sind», sagt Lütje, der auch Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Hamburger Amalie-Sieverking-Krankenhaus ist. Aber: «Man kann nicht sagen: Tendenziell ist diese Intervention oder dieses Vorkommnis traumatisierend.»
Was aber oft hinter dem Trauma steckt, ist ein Gefühl der Fremdbestimmung. Lütje sieht daher vor allem das Personal rund um die Geburtshilfe in der Pflicht: Wichtig sei nicht so sehr, was getan wird – sondern eher, dass Ärzte und Hebammen den Frauen erklären, was sie vorhaben, wozu das gut ist und ihnen ein Widerspruchsrecht einräumen.
Alleinsein kann traumatisieren
Voraussetzung ist natürlich, dass für so viel Betreuung Zeit ist: «Sobald es hektisch wird, wirkt das oft traumatisch», sagt Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes. So können vor allem Notfälle traumatisieren. Gleiches gilt, wenn die Frau während des Geburtsverlaufs viel alleine ist.
Und alleine meint in diesem Fall nicht ohne den Partner oder eine andere Vertrauensperson – sondern ohne qualifiziertes Personal wie die Hebamme. Und das komme in Deutschland durch die hiesigen Strukturen leider ziemlich häufig vor, sagt Geppert-Orthofer.
Hilfe annehmen
Wer nach der Geburt bemerkt, dass die Niedergeschlagenheit anhält, dass man nicht über die Geburt sprechen kann und nicht stolz darauf sein kann, der braucht Hilfe. Schämen müssten sich Frauen deswegen nicht, sagt Geppert-Orthofer. Denn ein Geburtstrauma kann Auswirkungen auf das Stillen, auf die Bindung zum Kind und zum Partner sowie auf die weitere Familienplanung haben.
Hilfe annehmen oder aktiv einfordern, das sei natürlich nicht einfach, betont die Expertin. «Frauen neigen häufig dazu, einfach zu funktionieren.» Und auch das Umfeld mache es einem nicht immer leicht. «Viele denken: «Die hat doch alles, warum ist sie jetzt nicht froh?»»
Geppert-Orthofer rät, die Hausbesuche der Hebamme zu nutzen und von der Geburt und den eigenen Gefühlen zu erzählen. Ein guter Ansprechpartner ist laut Gynäkologe Albring auch der Frauenarzt. Er kenne gegebenenfalls auch Hilfs- oder Therapie-Netzwerke und -Angebote vor Ort.
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(dpa/tmn)