Köln – Millionen Deutsche haben chronische Wunden. Wie sie am besten behandelt werden sollen, ist oft fraglich. Häufig eingesetzte Vakuum-Wundtherapien entziehen der Wunde Flüssigkeit und erzeugen damit einen Unterdruck, der gleichzeitig die Durchblutung fördern soll.
Ob Vakuum-Wundtherapien tatsächlich einen besseren Nutzen haben als andere Arten der Wundbehandlung, ist aber offen, sagen Experten des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
(IQWiG). Sie haben im Auftrag der Dachverbände der Krankenkassen, der Kliniken und Ärzte einen Vorbericht zur Bewertung der Therapiemethode erstellt. Es geht um die Frage, ob die Kosten für Vakuum-Wundtherapien künftig im ambulanten Bereich erstattet werden sollen. Derzeit werden sie vielfach bei Klinikaufenthalten eingesetzt.
Laut einer früheren Analyse vom Jahr 2006 war eine breite Anwendung der Methode nicht gerechtfertigt. Nun gibt es zwar deutlich mehr Studien – doch viele der Daten sind nicht veröffentlicht. «Damals wie heute sind Nutzen und Schaden der Methode unklar», teilt das IQWiG zur Vorstellung des Berichts mit. Nicht nur Hersteller, sondern auch Wissenschaftler hielten Daten unter Verschluss.
Ohne wissenschaftliche Grundlage setzen Ärzte demnach die teils deutlich teureren Vakuumtherapien basierend auf womöglich trügerischen Erfahrungswerten ein, obwohl sie offenbar selber nicht immer so überzeugt sind – wie man anhand der großen Studienzahl sehen könne. «Wenn die Therapie so große Erfolge erzielen und Wunden nach ein paar Wochen verschließen könnte, würden Kliniker keine Studien machen», sagt Stefan Sauerland, IQWiG-Ressortleiter Nichtmedikamentöse Verfahren.
Für ihre Analyse haben Mitarbeiter des IQWiG versucht, alle Studien zusammenzutragen, die den Einsatz der Vakuum-Wundtherapien bei sogenannter sekundärer Wundheilung untersuchen: Es handelt sich dabei um schwere Wunden etwa bei Patienten mit einem Druckgeschwür (Dekubitus) oder nach Operationen, bei denen die Wunde nicht zugenäht werden kann. Für die Analyse waren jene Studien relevant, bei denen Patienten zufällig entweder die Unterdruck-Technik oder eine Vergleichsbehandlung erhielten und bei denen für Patienten wichtige Größen untersucht wurden – etwa zu Schmerzen, der Länge des Klinik-Aufenthalts oder der Sterblichkeit.
Doch für viele der Studien hätten die IQWiG-Experten keine Ergebnisse gefunden, sagt Sauerland. «Wir wissen aus vergleichbaren Fällen, warum Studien manchmal nicht veröffentlicht werden – nämlich weil die Ergebnisse nicht den Erwartungen entsprechen.» Um verlässliche Aussagen treffen zu können, sei es unabdingbar, die Ergebnisse aller Studien in die Bewertung einzubeziehen.
In Sachen Intransparenz fiel Sauerland und seinem Team insbesondere die Firma KCI Medizinprodukte auf: Obwohl der Hersteller sich vertraglich verpflichtet habe, vollständige Daten vorzulegen, habe die US-amerikanische Firma «trotz mehrfacher Nachfragen» nicht ausreichend geliefert. «Aufgrund der unzureichenden Kooperation von KCI lagen für einen erheblichen Teil der Patientinnen und Patienten keine verwertbaren Daten vor», heißt es im IQWiG-Bericht. Um auf Basis womöglich verzerrter Ergebnisse keine falschen Schlüsse zu ziehen, habe sein Institut die KCI-Studien nicht berücksichtigt, erklärt Sauerland. Bei der Bewertung von Medizinprodukten sei das ein bislang einmaliger Vorgang.
Das Unternehmen würde sich für die Veröffentlichung von Studiendaten «unabhängig vom Ergebnis» einsetzen, versichert hingegen eine KCI-Sprecherin. Das Unternehmen habe versucht, möglichst viele Daten zügig zur Verfügung zu stellen, doch einige seien aus den frühen 2000er-Jahren – oder die Firma sei nicht beteiligt gewesen.
Laut Sauerland war die Datenlage auch bei Studien nicht wesentlich besser, die von Uni-Forschern gestartet wurden. «Die Studien werden oft mit Geld vom Hersteller finanziert», sagt er. «Vielleicht werden die Studienautoren gebeten, die Ergebnisse nicht so an die große Glocke zu hängen – oder sie machen es in vorauseilendem Gehorsam.»
In Deutschland verstoßen Mediziner eigentlich gegen die Regeln des Berufsstandes, wenn sie Ergebnisse von Forschung an Menschen nicht veröffentlichen. Ethikkommissionen prüfen zwar vor Studienstart, ob Richtlinien eingehalten werden – aber sie stellen kaum sicher, dass die Resultate publiziert werden. Das IQWiG fordert daher Gesetzesänderungen in Deutschland, die Transparenz erzwingen. Bei Arzneimitteln gab es hier in den vergangenen Jahren Verschärfungen. «Ohne vergleichbare Vorschriften werden wir auch in zehn Jahren über Interventionen wie die Vakuumtherapie kein gesichertes Wissen haben», sagt Sauerland.
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(dpa)