Dresden – Um 8.00 Uhr die rote Pille mit etwas Fett einnehmen, zwei Stunden lang nichts essen, um 10.30 Uhr die blaue Tablette schlucken, bald darauf die nächste. So sah das Leben von Patienten mit HIV lange Zeit aus.
«Vor 20 Jahren war die medikamentöse Therapie von HIV noch eine hochkomplexe Angelegenheit», sagt Holger Wicht von der Deutschen AIDS-Hilfe in Berlin. Vieles hat sich seitdem geändert – aber manches ist noch immer so wie damals.
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HIV-Neudiagnosen wurden dem Robert Koch-Institut für das Jahr 2016 gemeldet. Insgesamt lebten Ende 2016 in Deutschland einer Schätzung zufolge etwa 88 400 Menschen mit dem Virus. Früher mussten sie täglich zahlreiche Tabletten einnehmen, detaillierte Zeitpläne einhalten und Ernährungsvorschriften befolgen. Die Nebenwirkungen waren erheblich und unangenehm.
Seit 1996 die Kombinationstherapie vorgestellt wurde, hat sich der Alltag von HIV-Patienten radikal gewandelt. «Heute nehmen die meisten eine oder zwei Tabletten am Tag», so Wicht. Dadurch, dass HIV sehr stark mutiert, wird das Virus gegen eine einzige Behandlung schnell unempfindlich. HIV wird daher in der Regel mit einer Kombination aus drei Wirkstoffen behandelt, die oft in nur einer Pille stecken.
«Human Immunodeficiency Virus» bedeutet die Abkürzung HIV: menschliches Abwehrschwäche-Virus. Unbehandelt schädigt HIV das Immunsystem so sehr, dass es Krankheitserreger nicht mehr abwehren kann. In diesem Fall spricht man von Aids – «Acquired Immune Deficiency Syndrom», erworbenes Abwehrschwäche-Syndrom.
Aber: «Bei guter Therapietreue des Patienten ist das Virus lebenslang fast inaktiv», sagt die Infektiologin Susanne Usadel aus Freiburg. Voraussetzung dafür ist, dass das Virus früh entdeckt wird und der Patient regelmäßig zum Arzt geht und seine Medikamente einnimmt. Dann ist die Gefahr, an Aids zu erkranken, heute nicht mehr groß.
Entsprechend haben die Betroffenen häufig ganz ähnliche Träume und Wünsche wie gesunde Menschen. Usadel arbeitet beispielsweise mit Patientinnen in gebärfähigem Alter zusammen und weiß: «Eine Frau mit HIV und Kinderwunsch muss nichts anders machen als andere Frauen auch.»
Grundlage sei, dass die Medikamente das Virus seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze halten. Dann kann die Patientin ohne Kondom Geschlechtsverkehr mit ihrem Partner haben, und das Risiko einer Virusübertragung auf das ungeborene Kind ist verschwindend gering.
«Schön wäre es nun, wenn sie auch noch darüber reden könnten», so Usadel. Doch trotz aller medizinischen Fortschritte: Die Diskriminierung von HIV-infizierten Menschen sei immer noch gewaltig, gerade bei Frauen.
Um das Thema zu enttabuisieren, ist ein offener Umgang damit jedoch umso wichtiger. In Selbsthilfegruppen können Betroffene sich austauschen, sich gegenseitig Mut machen und dabei unterstützen, den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen. Zudem hilft der Austausch, mit der Infektion besser zurechtzukommen.
Ein offenerer Umgang mit HIV käme auch einer schnelleren Diagnose zugute: Immer noch erkranken Menschen in Deutschland an Aids, weil sie nichts von ihrer HIV-Infektion wissen, berichtet Wicht. Wer auch nur den geringsten Verdacht hat, dass er sich angesteckt haben könnte, sollte sich testen lassen. «Je früher man mit der Therapie beginnt, desto mehr gesundheitliche Vorteile hat das.»
Fotocredits: Oliver Berg
(dpa/tmn)